Eingeladen hatten das Sozialamt (Bereich Altenhilfe- und Pflegeplanung) und das Keuninghaus. Die Begrüßung sprach die neue Leiterin des Bereichs, Frau Niemand.
Nicht immer sind diese Runden Tische so interessant wie bei diesem Zusammentreffen verschiedener Akteure aus dem Senioren- und Migrationsbereich der Stadt Dortmund. Oft wird verallgemeinert, oft treffen dieselben „Experten*innen“ aufeinander und Vieles wird wiederholt, was „sein müsste…“ – ohne dass es große neue Projekte gibt, die auf eine neue und emphatische Seniorenpolitik auch für Migranten*innen in Dortmund hoffen ließen.
Doch dieses Mal , am 12. November war der Kreis der Interessierten und natürlich zumeist Experten*innen im Keuning Haus unerwartet groß und es gab zwei überraschend gute Beiträge: ein Film des VMDO/House of Ressourcen, der nur Migranten*innen zu Wort kommen ließ und ein an Kenntnis und Erfahrung reicher Vortrag von Dr. Murat Ozankan, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der LVR-Klinik in Langenfeld.
In den Interviews wurde Bekanntes deutlich: die Familie kann auch bei den Migranten*innen heute nicht mehr die Pflege der Eltern garantieren. Das schafft – neben der bestehenden Armut und diversen Gesundheitsproblemen – Ängste, Sorgen, Einsamkeit, Depression. Jeder und jede möchte so lange wie nur möglich selbständig bleiben – das gilt sicher für alle älteren Menschen in unserer Gesellschaft. Nur wenige Interviewte hatten Erfahrungen mit einem Senioren- oder Pflegeheim. Aber es überwiegt die Skepsis, denn dass man dort auch unglücklich werden kann haben einige im Bekanntenkreis schon erlebt. Was also wünschen sich viele, wenn es allein nicht mehr geht? Der Tenor: „Wenn es um äußere Hilfe geht, möchten wir zusammenbleiben, möglichst mit Menschen aus unserem Kulturkreis. Auch andere Kulturkreise können interessant sein, um neue Freundschaften schließen und weiterhin Neues kennenlernen zu können.“ Aber gibt es das? In Dortmund wohl kaum, ein Programm dass dies alles berücksichtigen würde immer noch nicht. Nur die Jüdische Gemeinde hat es bisher geschafft für ihre älteren Menschen gemeinsame Bereiche in Seniorenheimen zu organisieren. Aber reichen sie aus?
Es sind also längst bekannte, bisher unerfüllte Wünsche, die in diesem Film geäußert wurden.
Dr. Ozakan gab zunächst einen Überblick über die wachsende Zahl älterer und hoch alter Migranten*innen, 2020 werden es 20% der Gesamtheit sein. Wie längst statistisch bekannt, sind sie in höherem Maße von Altersarmut bedroht, 35% gegenüber 9,5% bei den deutschen Senioren*innen, und sie leiden etwa 10 bis 15 Jahre früher unter den im Alter auftretenden Krankheiten und Beschwerden wie Bluthochdruck oder Demenz und sind auch häufiger in der Pflegestufe 3.
Diese typischen Merkmale führt Herr Ozakan auf viele komplexe Faktoren zurück, wie zum Beispiel die gebrochene Bildung, frühe unzureichende medizinische Versorgung in der Herkunftsheimat, schlechte Wohn- und Wohnumfeldbedingungen, die schwere Arbeit und ungesunden Arbeitsbedingungen, aber vor allem auf einen von ihm so benannten „Postmigrationsstress“, der mit„Vielfacher Fremdheitserfahrung“ zu tun habe. Zu Ursachen zählt er: Sprachlosigkeit, Enttäuschte Hoffnungen, Diskriminierungen, familiäre Belastungen, Unsicherheit, wenig planbare Zukunft, fehlende Kommunikation in der Familie und mit der Außenwelt.
So finden sich in seiner Praxis Menschen, die vor allem stumm geworden sind, wenig körperliche und geistige Bewegung erkennen lassen und an schweren Depressionen leiden – darunter vor allem Frauen. Seine Aufgabe sehe er vorrangig darin, Vertrauen zu schaffen, die Betroffenen zum Sprechen zu bewegen, damit sie ihr Leiden aussprechen können und vor allem: ihnen zuzuhören. Dazu benötigt er Sprachvermittlung.
Die Nöte dieser Patienten*innen liegen erkennbar vor den aufgetretenen Krankheiten und depressiven Zuständen. Es fehlt das Netz, dass sie auffängt ab dem Zeitpunkt, wenn die Arbeit und die Sorge um die Zukunft der Kinder ihre integrative Kraft verloren haben und die plötzliche gesellschaftliche Einsamkeit buchstäblich hart zuschlägt.
Unsre Gesellschaft braucht also auch für Migranten*innen diese besonderen Räume, in denen alte Menschen ihre Würde behalten, ihre Sorgen mitteilen, gemeinsam auf die Zeit der schweren Arbeit und der Familiensorge zurückblicken können, in denen neue Freundschaften möglich sind, wo körperliche und geistige Beweglichkeit weiterhin trainiert und erhalten bleiben können und einander zugehört wird; und wo spanisch, italienisch, türkisch , arabisch, russisch, serbisch und was auch immer gesprochen werden kann und die Küche auch darauf Rücksicht nimmt.
Dafür braucht es in der Sozialplanung. der Kulturplanung und der Stadtplanung vor allem Empathie bei denen, die unsere Stadt gestalten und ZUHÖREN! Beispiele gibt es schon, man könnte sie aufsuchen, in Amsterdam zum Beispiel, wo Surinamesen, Tamilen, Marokkaner ihre Wohnwünsche, auch gemeinsam, beraten und umsetzen konnten.
Leider ging es in den kurzen moderierten Gesprächen über Ideen für die Zukunft nicht vor allem um solche Fragen und Kreativität, sondern immer wieder um die Klage: sie kommen nicht! Schade.
Dr. Viktoria Waltz